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Wie fühle ich mich, und wenn ja, wer von mir?

Als Mensch mit Depressionen müssen Sie sich einiges anhören, wenn Sie sich mit ihrer Erkrankung outen. Von „Reiß‘ Dich mal zusammen!“ bis zu „Du musst eben lernen, damit zu leben, die Depression gehört zu Dir“. Jetzt können Sie darauf antworten: Nicht von mir hängt es ab, dass ich depressiv bin – es sind die Bakterien in meinem Darm!

Eine belgische Studie hat die bakterielle Besetzung im Darm von über 1000 Probanden untersucht. Bei den Studienteilnehmern mit Diagnose Depression stellten die Forscherinnen und Forscher den auffälligen Mangel zweier Bakteriengattungen fest - Coprococcus und Dialister. Diese erste groß angelegte Studie suchte nach Belegen für die schon lange vermutete Mikrobiom-Gehirn Interaktion. Wahrscheinlich spielen chemische Moleküle, die von den Bakterien ausgeschieden werden, dabei eine wichtige Rolle. Sie könnten direkt auf neuroaktive Signalwege wie den dopamingesteuerten einwirken.

Ob nun das Fehlen der Bakteriengattungen ursächlich für die Depression ist oder eher ihre Folge, das kann die Studie, die im US-amerikanischen Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht wurde, nicht beantworten. Feststellen konnten die Wissenschaftler aber, dass auch die Einnahme von Antidepressiva das Organismen-Gleichgewicht im Darm nicht wieder herstellen konnte.

In weiteren Untersuchungen werden nun Mikrobiom-Transplantationen vorgenommen werden. Meist in der unappetitlichen Form von Fäkal-Transplantationen werden Darmbakterien von gesunden Menschen auf Depressionspatienten übertragen. Die Hoffnung ist, dass die fehlenden Bakterien im Darm heimisch werden und sich in der Folge die Stimmung und Lebensqualität der Empfänger bessert. Positive Ergebnisse könnten in der Medizin und Psychologie einen Paradigmenwechsel auslösen: nicht mehr Psychotherapie und Psychopharmaka wären der alleinige Standard bei der Depressions-Behandlung, sondern Bakterienkuren.

Aber es sind die Fragen auf der Metaebene, die ich persönlich besonders spannend finde: Wieviele unserer Stimmungen und Gefühle, vielleicht auch Gedanken und Handlungen werden eigentlich durch unsere Partnerorganismen beeinflusst? Und wie weit geht diese Einflußnahme? Es gibt das gruselige Beispiel des kleinen Leberegels, der seine Wirtsorganismen (Ameisen) regelrecht in den Selbstmord treibt, um selbst seinen Lebenszyklus zu vollenden. Können wir demnächst vor Gericht eine Metagenomanalyse als entlastendes Material vorlegen? Nicht ich bin es gewesen, es waren meine Bakterien! Aber Spaß beiseite. Einige Wissenschaftler fordern inzwischen eine Neudefintion des „Selbst“ (siehe dazu auch: Artikel in Pressenza) und die alte Diskussion vom freien Willen könnte in diesem Zusammenhang wieder neu aufflammen.

Was denkt Ihr?

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